Kunst

Die unaufgeräumten Wände des Herrn Kappeler und die tränenden Augen des Betrachters

Publiziert in: Christoph Kappeler – Sammlung. Edition Patrick Frey 2018

Kunstsammlungen haben in der Regel musealen Charakter. Themenbasierte Sammlungen werden ordentlich präsentiert, katalogisiert und kommentiert. Sie sollen und wollen das Spiegelbild einer Sammlerleidenschaft sein. So ist jedenfalls die herrschende Meinung und vielerorts ist das auch herrschende Praxis. Das führt unweigerlich dazu, dass viele Sammlungen langweilig und nichtssagend sind. Die Betrachter sind abgelenkt durch die Komplexität der Präsentation und die einzelnen Werke verlieren meistens ihre Persönlichkeit weil sie darauf reduziert werden, ein Teil von etwas Ganzem zu sein.

Viele Sammlungen kommen also mit dem gleichen Charme rüber, wie Briefmarken- oder Kaffeerahmdeckel-Sammlungen; possierlich, wohlgeordnet und auf Komplettierung konzentriert. Neuzugänge haben oft nur den Stellenwert von Lückenbüssern.

Es gibt aber auch Lichtblicke und einem dieser Lichtblicke ist dieses Buch gewidmet. Im Mittelpunkt stehen hier weder eine  Sammlung noch ein Sammler noch illustre Namen, sondern die tägliche Auseinandersetzung mit Kunst, offensichtlich angetrieben von unbändiger Lust, gepaart mit Wut, Neugier, Spass und Schalk.

Und wo der Kappeler’sche Kunsttrieb sich öffentlich entfaltet, nämlich an den Wänden, da herrscht Chaos.

Ordnungsfanatiker werden beim Abschreiten der Wände ihre Mühe haben.

Schreitet man das chaotische Patchwork künstlerischen Schaffens der letzten 70 Jahre an den Wänden des Herrn Kappeler ab, so ist man als selbstverständlich höflicher Betrachter versucht, irgendetwas irgendwohin zuzuordnen. Und lobend zu erwähnen. Doch wieder macht uns der Kunstbesessene einen Strich durch die Rechnung. Eine Indexierung der an die Wände genagelten Kunst ist nicht möglich. Und offenbar auch nicht erwünscht, ist doch diese „Ordnung“ beim zweiten oder dritten Besuch gleich wieder durcheinander gebracht. Es gehört offensichtlich zu den Eigenheiten des Hausherrn, das Erscheinungsbild seiner Kunstbesessenheit regelmässig zu zerstören und gleichzeitig auch zu erneuern. Betrachtet man im Detail seine Art, Nägel in Wände zu schlagen, so mögen an seiner Fähigkeit als Handwerker leichte Zweifel aufkommen. Aber als WANDwerker leistet er hervorragende Arbeit!

Der kunstbeflissene Betrachter erlebt natürliche viele Déja-vus. Die Grosshirn-Rinde wird von illustren Namen gekitzelt aber auch Unbekanntes drängt sich fordernd dazwischen und will Aufmerksamkeit. Kein Wunder, dass das Auge des Betrachters zu tränen beginnt und der Ansturm der visuellen Eindrücke erdbebenmässige Reaktionen auslöst. Doch halt! Da ist etwas Besonderes an den Wänden. In unregelmässigen und nicht genau nachvollziehbaren Abständen sind da Anker zu sehen. Nein, nicht die von Albert, sondern eigene Werke von Christoph Kappeler. Im Gegensatz zu den anderen Werken, scheinen die ihren festen Platz haben. Wie Klippen in der Brandung, oder eben, wie Anker in einem unendlichen Hafen.

Natürlich wird es jetzt Betrachter geben, die sofort nach einem Kontext suchen und sich fragen, ob das Huhn oder das Ei zuerst da war …  infolge fehlender Relevanz eine müssige Frage. Sowohl Hühner wie auch Eier können köstlich zubereitet und genossen werden. Die Gaumenfreude steht über der Herkunftstheorie und genau so sieht es bei den Kappeler’schen Wänden aus. Augen- und Sinnesfreude sollen im Vordergrund stehen und auch stehen bleiben.

Lassen wir also die Finger von irgendwelchen theoretischen Ergüssen, seien sie kunstwissenschaft-licher, psychologischer oder philosophischer Natur.

Lassen wir einfach weiter das Auge über die Wände tanzen und Kunst mit allen Sinnen geniessen.

Und natürlich wünschen wir Christoph Kappeler noch unzählige weitere Wände.